GRÜNE STÄDTE, BUNTES LEBEN
Mehr als die Hälfte der Menschen weltweit lebt bereits heute in Städten, bis 2050 werden es 70 Prozent sein. Höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie urbane Räume für alle lebenswert bleiben: etwa durch viel Grün, intelligente Mobilitätskonzepte und Räume für soziale sowie kulturelle Begegnungen. Wir haben uns Städte im Wandel zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz angesehen.
Grau raus, Grün rein: Die Natur erobert sich die Stadt zurück – nicht durch Zufall, sondern weil immer mehr Menschen erkennen, dass der Schlüssel zu mehr Lebensqualität sowie Widerstandsfähigkeit gegen die Auswirkungen der Klimaveränderung in den grünen Oasen mitten in der Stadt liegt. Nachhaltige Städte können aber noch viel mehr.
Ein großer See, viel Grün, überall Spielplätze und Lokale, in denen man gemütlich zum Essen beisammensitzt. Geschäfte, spannende Unternehmen und innovative Start-ups, Gemeinschaftsgärten, Veranstaltungsräume und eine Kulturgarage für Konzerte, Ausstellungen und Theater: In der Seestadt Aspern vermischt sich urbaner Lifestyle mit der Sehnsucht nach mehr Nähe zur Natur und zu den eigenen Nachbar*innen. Ein Stadtquartier, das ganz im Zeitgeist liegt. Mit einer Fläche von 240 Hektar ist die Seestadt im Nordosten von Wien derzeit eines der größten Stadtteilentwicklungsprojekte Europas. Das nachhaltig konzipierte Stadtquartier setzt auf kurze Wege, die Nähe von Wohnen und Arbeit, hohe Lebensqualität und viel Freiraum in Parks und rund um den See. „Es ist ein extrem entspanntes Lebensgefühl“, sagt Madelaine Neumayr.
Die Grafikerin ist mit ihrer Familie 2014 in die Seestadt gezogen: „Wir sind Bewohner der ersten Stunde.“ Sie schätzt die kurzen Wege und Freiräume: Ein paar Schritte und man ist am See, die Schule für die beiden Kinder ist nicht weit, auch die Geschäfte liegen ums Eck. Das Büro der selbstständigen Grafikerin liegt im selben Gebäude wie die Wohnung der Familie. „Ich komme oft wochenlang nicht aus der Seestadt, weil alles da ist“, erzählt Neumayr. Im Endausbau (geplant 2028) werden rund 25.000 Menschen in der Seestadt leben und rund 20.000 Arbeitsplätze entstehen. Mobilität wird nachhaltig gedacht: Der stehende Verkehr wird in Parkgaragen gebündelt, Bus und Bahn erschließen das Quartier. Nur rund jeder vierte Bewohner bzw. jede vierte Bewohnerin hat ein eigenes Auto, weil es durch Carsharing-Angebote, wie dem von sharetoo, flexible Alternativen gibt.
RURBANISIERUNG ALS TREND
Die Seestadt Aspern ist nur ein Beispiel für eine Stadtentwicklung, die sich an Nachhaltigkeit und Lebensqualität orientiert. Mehr Grün macht Städte nicht nur lebenswerter, sondern auch widerstandsfähiger gegen Hitze, Trockenheit oder Unwetter. Da werden Dächer und Fassaden begrünt, Straßen verkleinert und Parkplätze gestrichen, um mehr Grünflächen zu schaffen. Entsiegelte Böden können Wasser besser speichern, im Sommer heizen sich Gebäude und Wiesen nicht so stark auf. Mit dem Grün kommen ein neues Lebensgefühl und bunte Ideen: Moderner City-Lifestyle und Gemeinschaftsbeete, Bienenvölker und Stadthühner schließen sich nicht mehr aus. Das Zukunftsinstitut nennt diesen Trend zur ländlichen Neudefinition der Urbanisierung „Rurbanisierung".
MOBILITÄT NEU GEDACHT
Nachhaltige Städte, die diesem Trend folgen, setzen andere Prioritäten. „Mehr Grün in die Stadt zu bringen, bedeutet Platz zu schaffen, etwa durch neue Mobilitäts- konzepte“, nennt Stephan Pauleit, Professor für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der Technischen Universität (TU) München, einen Ansatzpunkt. Einige Städte sind da schon recht weit und gelten als Vorbilder für die Wende. Da ist beispielsweise Amsterdam, wo Straßen schon seit Jahren verkehrsberuhigt sind und Radwege ausgebaut werden. Park-and-Ride-Systeme erleichtern den Umstieg. Der Erfolg kann sich sehen lassen: In Amsterdam werden 36 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt, ein Spitzenwert in Europa.
EIN WALD IN DER VERTIKALEN
Die dänische Hauptstadt Kopenhagen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 die erste klimaneutrale Stadt der Welt zu werden. Die Metropole mit ihren rund 640.000 Einwohner*innen ist dabei auf einem guten Weg und dient gleichzeitig als Vorbild für andere Großstädte, die CO2- Emissionen konsequent zu senken und zu kompensieren. Die Stadtplanung wurde dafür entschieden darauf ausgerichtet, das Zentrum grüner, digitaler und emissionsärmer zu gestalten. Auch Barcelona wird dem Image als innovative Großstadt gerecht: Fahrspuren und Tempo werden reduziert, Carsharing und E-Mobilität forciert. Zusätzlich holt Barcelona mehr Grün ins Kerngebiet. In Mailand ist der Bosco Verticale – 3.000 Quadratmeter Laub- und Nadelbäume an den Fassaden zweier Hochhäuser – längst zu einer Attraktion herangewachsen. Rotterdam hat seine vielen Flachdächer als neue Ebene der Stadtentwicklung entdeckt: Auf den Dächern entstehen Gemüsegärten, Wasserspeicher, Windräder, Solaranlagen, Restaurants und ein Dorf in der Stadt – alles, um die Metropole klimafreundlicher, bunter und vor allem grüner zu machen.
Denn eines hat sich längst herumgesprochen: Auch die Hitze in der Stadt lässt sich besser aushalten, wenn viele Bäume, Sträucher, Parks und Wasserflächen für ein angenehmes Mikroklima und nächtliche Abkühlung sorgen. Nicht zuletzt entschleunigen die grünen Oasen und tun der Seele gut. Ganz egal, ob man auf eine kunstvoll begrünte Fassade oder in einen Park mit alten Bäumen schaut.